Anfängerfehler
Ich bin in Kiew und lasse es mir gutgehen.
Borschtsch, Weißwein vom schwarzen Meer, Hummer Muscheln – es gibt besseres, als sich in dämlichen Agenturen zum Buckeln einzusperren.
Und dann auch noch das Rammstein-Konzert in Moskau – das Leben kann so prachtvoll sein. Doch wie singt Till Lindemann in “Was ich liebe?”
Ich freu‘ mich nicht, wenn ich mich freue
Weiß ich doch, ich werde es bereuen
Und so kommt auf mein Hochmut über die Büroknechte schon gleich der Fall in die Kummergrube der Erwerbslosen. Denn:
Auf Glück und Freude
Folgen Qualen
Für alles Schöne
Muss man zahlen
Glücklicherweise in der Ukraine nicht so viel wie in DEUTSCHLAND, aber auch hier hat es sich rumgesprochen, dass ohne Moss nix los ist. Und so stelle ich mit Qualen fest, dass meine Ersparnisse schneller schmelzen als die Butter auf der leckeren Dorade.
Wie gerne würde ich jetzt einfach sagen können: “Ach, Ende des Monats kommt ja wieder die Finanzspritze, der große Wassereimer, der die lodernden Finanzflammen löscht!” Doch leider kommt da nichts. Schlimmer noch: Ich habe noch nicht mal eine Arbeit an Land gezogen. Und fürs Nichtstun und Schlemmen zahlt mich leider niemand. Den ProSieben-Fettsack “Joe Schreiner” bezahlt man dafür leider zu gut.
Und so sitze ich in einem Restaurant an der Dnepr-Metropole (Dnepr ist der Name des Flusses, der Kiew wie eine Kiwi in zwei Teile teilt) und gerate in Panik. Ich werde doch total verarmen! Ich werde doch als Bettler enden! Wo soll ich denn Geld herbekommen? Das schaffe ich doch alles nie!
Doch dann, plötzlich, wie aus dem Nichts, kommt das Glück zu denen, die Mut haben. Es kommt in Form einer WhatsApp-Nachricht meines Kumpels Laloops.
“Hey, hast du Bock auf nen Freelance-Job?“
Und ob ich das habe. Meine Rettung!
Dann geht alles ganz schnell: Ich antworte ihm, schicke ihm meine Adressdaten. Kurz darauf erhalte ich eine Mail von einem Mikhail: “Hey Frank, we need a German native… please send your portfolio…”
Portfolio.
DAMN.
Da war doch was! Nämlich: Da ist noch gar nix. In meinem “Portfolio”. Also liege ich spät am Abend im Hotelzimmer und tippe auf meinem Handy ein paar Lines zurecht, verlinke Arbeiten und erstelle ein “Mini-Portfolio”. “Wenn das schon so anfängt… dann gute Nacht!”, denke ich mir, als ich die zusammengeklatschte Mail nachts um 2:12 Uhr abschicke.
Dann herrscht Funkstille. Ein banges Warten. Hab ich zu wenig in meinem Repertoire? Doch am Mittag meldet er sich wieder: “Great works – how much do you charge an hour?”
Verdammt.
Mein eigenes Honorar festlegen!
Sofort frage ich meine Freunde, die sich bereits wieder Weißwein reinkippen.
Betrag X? Summe Y? Ich habe keine Ahnung! Ich weiß nur so viel, dass ich diesen Betrag, den ich dann als Antwort gegeben habe, nicht in einem billigen WordPress-Blog poste.
Die Antwort:
“Okay, I think that’s a good price…”
Verdammt, sie akzeptieren sofort? Viel zu wenig verlangt! Viel zu wenig! Doch ich habe kaum Zeit, mich darüber aufzuregen, denn seine Mail geht weiter:
“…can you do these two test exercises for us – until tomorrow?”
“Arbeiten? Mitten im Urlaub? So eine Frechheit!”, rege ich mich auf. Dann fällt mir wieder ein, dass ich ja den Auftrag brauche. Also setze ich mich ins Hotelzimmer an das kleine Tischchen, schreibe einen Text und korrigiere einen anderen – natürlich im Korrekurtmodus von Word.
Eine fürchterliche Fummelei auf dem Smartphone. Ich gehe den Text durch. Lese ihn laut vor.
“Diese Süßigkeiten wird Ihnen auf der Zunge vergehen…”
Meine Mitreisenden brechen in Gelächter aus.
“Oh, äh, ‘auf der Zunge zergehen’, natürlich”, sage ich.
“Verdammt, Junge, konzentrier dich!”, denke ich mir und fummele weiter. Bis es mir irgendwann genug Fummelei ist und ich auf “Abschicken” sende. Jetzt gnade mir Gott.
Wieder Warten, wieder Anspannung. Mitten im Urlaub!
Und dann, nach Stunden des Wartens, endlich die Mail:
“You’ve done the tests really nicely – we would like to work with you!”
“Yes!”, schreie ich laut auf. (Wir sitzen wieder in einem Restaurant, denn unser mobiles Internet funktioniert hier nicht.) “Ich hab den Job!“
Die Freude ist groß – und daher schmeckt der Vodka zum Schaschlik noch zehnmal so gut.
Wieder zuhause in Deutschland ist die Freude über meinen neuen Job immer noch groß. So groß, dass ich ihn meiner Mitbewohnerin erzähle. Sie, erfahrene Selbständige, reagiert aber nicht mit Freude, sondern reißt mich in die Ernüchterung:
“Junge, das ist viel zu wenig!”
Ich rechne nach. Brutto. Netto. Soizialversicherungen. Rücklagen für den Krankheitsfall. Tatsächlich: Es ist zu wenig.
Verdammter Anfängerfehler!
Sofort möchte ich wieder alles verteufeln. Alles verfluchen! Das wird doch eh alles nichts, was ich mir da aufbauen will. Bin halt doch kein blöder Freiberufler-Unternehmer, mit Sakko und beschissener Charming-Website. Die ganze Nacht bin ich wach und zürne vor mich hin.
Doch irgendwann kommt neben meinem inneren Kritiker auch mein innerer Freund wieder zum Vorschein. In der Stille der Nacht höre ich eine versöhnliche Stimme sagen:
Hey, klar mache ich Fehler.
Anfängerfehler.
Das kommt daher, weil ich angefangen habe.
Ab der größte Fehler wäre es doch gewesen, niemals angefangen zu haben.
Immer noch in der Agentur zu buckeln, zu knechten, den Traum von der Freiheit zu träumen, hinter Gitterstäben aus Sicherheitsgefühl.
Schlimmer als der Anfängerfehler
ist der Nichtanfängerfehler.
Wow. Ich kann echt gut mit Worten umgehen, merke ich gerade.
Da sollte ich vielleicht doch mal etwas mehr verlangen das nächste Mal.
Also freut euch, dass ihr das hier noch umsonst bekommt!
Bis bald,
Frank